Eines sag‘ ich mal gleich: die Neugier und das Vertrauen, dass Tiere in den Menschen legen, finde ich immer wieder unglaublich. Es zeigt mir, dass wir nicht der von vielen Seiten propagierte Störenfried sind, sondern dass wir vielleicht nur etwas vom Weg abgekommen sind und wieder die Nähe suchen müssen, denn schließlich ist der Mensch ein Teil der Natur.
Eine gute Gelegenheit, Natur hautnah zu erleben, ist wohl der Schlosspark Teplice in der Tschechischen Republik. Der von Menschen angelegte Park lädt zu ausgedehnten Spaziergängen ein. Ganz besondere Begegnungen kann man jedoch gerade im Winter erfahren, auch wenn Parks dann eigentlich nicht mehr die einladendsten Orte zum Verweilen sind; und zwar Begegnungen mit Eichhörnchen.
Diese süßen, flinken Nager sind wohl eines der putzigsten Tierchen, die ich je gesehen habe. Klein, kuschelig und irgendwie witzig in ihrem Auftreten. Nicht so verwunderlich, dass wir Menschen sie mögen und sie für uns einen besonderen Wert darstellen. Eichhörnchen gehören zur Ordnung der Rodentia (Nagetiere), weltweit gibt es ca. 190 Arten. In Mitteleuropa ist allerdings nur eine Art, Sciurus vulgaris beheimatet. Zwischen den Verbreitungsgebieten können Farbunterschiede von rötlich bis dunkelbraun auftreten. Vom in Europa eingeführten Grauhörnchen sind Eichhörnchen gut zu unterscheiden, da sie kleiner und zierlicher sind. Wer noch mehr Details erfahren möchte, kann dies auf http://www.natur-lexikon.com/Texte/MW/001/00003/MW00003.html tun.
Bisher hatte ich Eichhörnchen immer nur per Zufall und als ultrascheue Genossen kennengelernt. Einmal falsch bewegt und husch! waren sie wieder weg. Ab und zu konnte man schon mal den einen oder anderen Mitmenschen im Wald beobachten, wie er mit leicht seitlich geneigten Kopf um einen Baum tänzelte, in froher Hoffnung nur einen kurzen „Eichhörnchenblick“ zu erhaschen.
Mir kommt der Gedanke, ob Eichhörnchen so etwas wie eine Kindheitserinnerung sein könnten? Knopfaugen, Kuschelfell… wen mag das nicht an sein Lieblingskuscheltier erinnern?
Im Schlosspark in Teplice ist das etwas anders: Hier hat sich eine für mich bisher unglaublich erscheinende Liaison zwischen Mensch und Hörnchen entwickelt. Als meine Frau und ich das erste mal dort spazierten, haben wir es nur gesehen, es hat uns aber so fasziniert, dass wir es am nächsten Tag selbst ausprobieren mussten. Dazu brauchten wir ein Tütchen, ein paar Nüsse oder Mandeln und ein wenig tschechisch, wenn man sehr ungeduldig ist (wir sind es). Eine Kamera hilft, dass Schauspiel fotografisch festzuhalten. So ausgerüstet betraten wir also den Schlosspark und begannen alsbald mit einem leisen Geraschel des Tütchens, was nicht unbemerkt blieb. Schon sehr bald kamen die ersten Eichhörnchen aus ihren Verstecken und reckten ihre Köpfe in die Höhe.
Aber wehe dem, der nun unachtsam und voreilig seine Mandeln und Nüsse in die Landschaft wirft! Ihr verpasst ja das Beste! Die erfahreneren Eichhörnchen beginnen sogleich mit dem Betteln, während die scheueren erst gelockt werden müssen.
Meine Frau begann also (auf Deutsch!) ein Eichhörnchen mit einem sanften „Komm! Komm!“ anzulocken, aber irgendwie wollte es nicht so recht klappen, während andere Besucher des Parks weniger Probleme hatten.
Meine Schwiegermutter hatte aber dann den zündenden Einfall: „Du musst auf Tschechisch rufen, die Eichhörnchen verstehen kein Deutsch!“ Und so wurde aus „Komm her!“ „Pojd sem!“. Naja, vielleicht war nicht die Sprache ausschlaggebend, aber schließlich hatten auch wir Erfolg und vorsichtig, aber getrieben von der nussigen Verlockung, näherte sich eines der Eichhörnchen. Erstaunlich, dass die Tierchen jegliche Scheu ablegen und sogar aus der Hand fressen.
Ein tolles Erlebnis. Erst jetzt wurde uns bewusst, dass so ziemlich jeder der (älteren) einheimischen Spaziergänger eine kleine Leckerei für die Eichhörnchen parat hatte. Und je nachdem, was man anbot, wurde es sofort verspeist oder für später (augenscheinlich willkürlich) vergraben. Als kleiner Tipp: Mandeln werden eher vergraben als Walnusskerne, eine gesunde Mischung aus beidem sorgt also für das maximale Erlebnis.
Natürlich versuchen diese kleinen Tierchen ihre gefundene Futterquelle gegen andere Rivalen zu verteidigen. Konkurrierten also zwei Hörnchen um einen „Fütterer“, so wurde mit lautem Gequike der Nebenbuhler aus dem Territorium verjagt (nicht selten war ein Dritter dann Nutznießer).
Was man an diesem Beispiel wirklich lernen kann ist, dass der Mensch nicht zwingend die Welt zum Nachteil verändert. Dieses Beispiel zeigt, dass Tier und Mensch, auch wenn Ersteres nicht domestiziert, eine Partnerschaft entwickeln können, die beiderseitige Vorteile bringt (von einem echten Mutualismus möchte ich dennoch nicht sprechen). Während für das Eichhörnchen die Zufütterung im Winter lebenswichtig ist, kann der Mensch eher auf der geistigen Ebene von der Beziehung profitieren. Das Naturerlebnis kann die Sicht ändern; von einer Ich-bezogenen Sicht auf eine, die auch andere Lebewesen mit in eine Gemeinschaft der „zu Beachtenden“ aufnimmt.
H. Burgardt