Ich glaub‘ ich Spinne!

Mögen Sie Spinnen? Nein? Gut. Dann ist dieser Artikel genau das Richtige. Ich mochte Spinnen auch nicht sonderlich und empfinde auch heute noch ein gewisses Unbehagen, wenn (vornehmlich haarige) kleine Monster über die Wände krabbeln.

Aber seien wir mal ehrlich: ist die Furcht begründet? Mir ist durchaus klar, dass Angst jeder Logik entbehrt und ja, ich habe Menschen erlebt, die nicht nur Ekel vor den kleinen Krabblern empfunden haben, sondern tief innewohnende Angst, mit Zittern, Schweißausbrüchen und der ganzen zugehörigen Symptomatik. Ist es nicht verwunderlich, dass wir eine so tief innewohnende Angst gegen so ein kleines Tier empfinden können? Ich vermute, dass diese Angst ein Relikt aus längst vergangener Zeit darstellt und auch heute gibt es ja durchaus noch Regionen der Erde, an denen ein Spinnenbiss nicht ganz ungefährlich sein kann. Bei der Recherche zu diesem Artikel unter dem Suchbegriff „Tödlicher Spinnenbiss“, stieß ich auf Meldungen einschlägiger, sog. „Revolverblätter“. Demnach sollten Exemplare der sog. “Bananenspinne” (Phoneutria spec., ich verzichte beabsichtigt zunächst auf eine Verlinkung) in deutschen Supermärkten aufgetaucht sein. Die reißerische Überschrift „Ihr Biss ist tödlich“ [1] lässt sogar mir das Blut in den Adern gefrieren und ein kurzer Moment in mir lässt mich nie wieder Bananen essen wollen. In einem weiteren Artikel fand man angeblich eine ganze Kolonie [2] – natürlich auf Fairtrade-Bananen. Weder ist die Rede davon, dass die Spinne angegriffen habe, noch ist jemand verletzt worden (obwohl ihr von einem „Insektenexperten“ zugesprochen wird, dass sie „sehr aggressiv“ sei [1]. Hätten sie doch besser einen Arachnologen gefragt.

Was ist nun wirklich dran, an dem unbändigen, aggressiven und menschenkillenden Monster? Einem Projekt des Naturkundemuseums Karlsruhe zu Folge, ist die Gefahr weit aus geringer, als es die Boulevardpresse uns Glauben machen will. Natürlich, so ganz harmlos ist der Spinnenbiss nicht, Speichelfluss, Tränenfluss, Priapismus und Krampfanfälle sind möglich. Zudem führe das Gift bei Mäusen zum Tode bei intrazerebraler Injektion (Verabreichung direkt ins Hirn). Weitere Studien zeigen, dass diese Spinnenbisse nur selten extrem gefährlich für den Menschen seien, es sei jedoch darauf hingewiesen, dass man nicht unvorsichtig mit dieser Spezies umgehen soll [3]. Demnach seien laut einer klinischen Studie (Bucaretchi et al. 2000) von 422 Fällen (meist Bisse in Extremitäten) lediglich 0,5% mit einer schwerwiegenden Vergiftung einhergehend gewesen. Das ist einer in hundert Fällen. Die meisten klagten nur über lokale Beschwerden. Bis 2008 konnten 10 Tode in Brasilien (!) auf einen Biss von P. nigriventer, wie diese Spinne wissenschaftlich heißt, zurückgeführt werden. Die alles entscheidende Frage im Statistikdschungel ist nun: wie viele Spinnen verirren sich denn nun in den (deutschen) Supermarkt? Ich habe in 40 Jahren nicht eine einzige Spinne (egal welche Gattung) in einem Supermarkt gesehen und ich kenne niemanden, der von Spinnen zwischen bananen berichtete. Nüchtern betrachtet muss man also gestehen: die Gefahr, an einem Biss der brasilianischen Wanderspinne zu sterben, ist sehr gering, wenn nicht sogar super unwahrscheinlich, weil man erst gar nicht gebissen wird: In diesem Zusammenhang habe ich einen Artikel der Süddeutschen aus dem Jahre 2010 gefunden. Hier versucht der Arachnologe Peter Jäger die heimische und wohlbekannte Große Winkelspinne (Tegenaria atrica ) zum Beißen zu bringen. Sie ist wohl eine der bekanntesten und größten deutschen Spinnen und in jedem guten Keller zu finden. Die Spinne zu einem aggressiven Verhalten zu bewegen gelingt nur mit mäßigem Erfolg (anders als im Tox-Info des Münchner Klinikums vermutet: „beißt häufig“[4] heißt es dort im Steckbrief der Spinne). Jäger konstatiert, dass er die Spinne „20 Minuten lang triezen“ [5] müsse, damit sie ihn angreife. Weiter heißt es, den meisten Spinnen fehle der Instinkt zum Angreifen (und in diesem Falle ist es ja auch eher eine Verteidigung). Das klingt einleuchtend. Der Giftapparat dient vornehmlich um Beute bewegungsunfähig zu machen bzw. zu töten. Wieso also einen Gegner angreifen, vor dem man schneller in eine Ritze flüchten kann, als dass man sich dem aussichtslosen Kampf hingibt, in dem die Erfolgschancen gen null gehen? Letztendlich ist es auch eine Ressourcenfrage. Wieso „teuer“ hergestelltes Gift (es handelt sich um komplexe Peptide und Proteine) für etwas „verschwenden“, aus dem keinerlei Gewinn zu ziehen ist? Die Flucht des Tieres ist mehr „logisch“ als „faszinierend“.

Nun gut, es handelt sich immer noch um kleine, haarige Tiere, die irgendwie angsteinflößend sein können (mir geht es genauso mit Schlangen, habe mir bisher keine Konfrontation zugetraut). Die Angst vor Spinnen hat sich in Interesse gewandelt. Wozu Spinnen in der Lage sind, ist erstaunlich und der Blick unters Mikroskop eröffnet eine unglaubliche Welt: Hören mit den Haaren. Letztlich nehmen Spinnen einen festen Platz in einer filigran vernetzten Natur ein.

Zum Schluss noch ein kleines Schmankerl: Das folgende Video (siehe Link “Wespenspinne”) habe ich bei einer zoologischen Exkursion aufgenommen. Die in Deutschland seit einigen Jahrzehnten weit verbreitete Wespenspinne (Argiope bruennichi) gehört zu den Radnetzspinnen. Ihr Netz ist durch das in der Mitte zick-zack verlaufende Stabiliment gut zu erkennen. Die Spinne selbst ist schwarz-gelb gebändert (-> Name). Sie bevorzugt sonnige, halbhohe trockene bis feuchte Wiesen. Hier im Video ist ihr ein Grashüpfer ins Netz gegangen, den sie zügig einspinnt und dann durch mehrere Bisse lähmt. Auch wenn der Grashüpfer letztendlich keine Chance hat, setzt er der Spinne mit seinen kräftigen Sprungbeinen ordentlich zu. Aufgenommen mit der Handykamera; Kommentar: Dr. Peter Michalik, zoologisches Institut der EMAU-Greifswald.

WESPENSPINNE

 H. Burgardt

Quellen

[1] http//www.bild.de/news/leserreporter/spinnen/gefaehrliche-spinne-in-supermarkt-bananen-34734198.bild.html [letzter Zugriff 22.06.2015]

[2] http//www.welt.de/vermischtes/weltgeschehen/article121548068/Wenn-auf-der-Banane-die-toedliche-Spinne-hockt.html [letzter Zugriff 22.06.2015]

[3] http//www.wandering-spiders.net/phoneutria/toxicity/ [letzter Zugriff 22.06.2015]

[4] http//www.toxinfo.org/toxinfo/db/frameset.php?genic=TEGENARIA+ATRICA [letzter Zugriff 22.06.2015]

[5]http//www.sueddeutsche.de/wissen/spinnenforscher-beiss-doch-endlich-1.1026018 [letzter Zugriff 22.06.2015]